Aufgrund fehlender einheitlicher Regelungen entsteht eine erhöhte Gefahr von Greenwashing
ESG-Ratingagenturen sind ein relativ neues Phänomen in der Finanzwelt, deren Bedeutung in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Mittlerweile stützen nicht nur institutionelle Investoren, sondern immer häufiger auch kleinere Anlegerinnen und Anleger ihre Investmententscheidungen auf ESG-Ratings. Ein niedriges ESG-Rating kann für das bewertete Unternehmen bzw. Finanzprodukt daher von bedeutendem Nachteil sein.
Die Ausweisung von Finanzprodukten als "nachhaltig" erfolgt in der Praxis (Sustainable Finance) oftmals durch die Verwendung von Begriffen wie "ökologisch", "grün" oder eben auch "nachhaltig". Ungeachtet der sich zurzeit konstituierenden und von europäischer Ebene geprägten Nachhaltigkeitsarchitektur im Recht ist die Frage, ob ein Finanzprodukt nun nachhaltig ist oder nicht, oftmals nicht einfach zu beantworten. Dies liegt daran, dass die europarechtlichen Grundlagen von Sustainable Finance jung und zum Teil sogar gerade noch im Entstehen sind. So sind beispielsweise noch nicht alle delegierten Verordnungen zur sogenannten Taxonomieverordnung erlassen worden, die im Zusammenspiel mit dieser die Kriterien einer nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit definieren.
Aufgrund der zu einem gewissen Teil noch fehlenden einheitlichen Regelungen hinsichtlich der Frage, wann ein Investment als nachhaltig oder grün bezeichnet oder explizit als nachhaltig vertrieben werden kann, sowie der teilweisen Unklarheit, wie die bestehenden Regelungen hierzu in der Praxis konkret anzuwenden sind, entsteht eine erhöhte Gefahr von Greenwashing.
Vor dem Hintergrund der kontinuierlich zunehmenden und als nachhaltig angepriesenen Investmentvermögen in der EU zeigt sich auch die Notwendigkeit klarer, umfassender und von den Proponenten anwendbarer Regelungen. Das bereits bestehende und im Entstehen befindliche Regularium (im Wesentlichen die erwähnte Taxonomieverordnung und die entsprechenden auf dieser basierenden delegierten Verordnungen) muss jedoch erst noch verstärkt durch entsprechende empirische Daten unterfüttert werden, um zu solch klaren, umfassenden und anwendbaren Regelungen heranwachsen zu können.
Was aber bedeutet Greenwashing konkret? Es gibt keine gesetzlich verankerte Definition für Greenwashing. Allgemein bedeutet Greenwashing, dass ein (Finanz-)Produkt oder ein Unternehmen als umweltfreundlich, grün oder nachhaltig beworben – also grün gefärbt – wird, obwohl es diese Standards nicht wirklich erfüllt. Im Kontext der Finanzwirtschaft sollen potenzielle Investorinnen und Investoren so dazu verleitet werden, Investments zu tätigen, die sie in Kenntnis der tatsächlichen Auswirkungen des Finanzprodukts in dieser Form nicht getätigt hätten.
Drei Arten von Greenwashing
Im Zusammenhang mit der Finanzindustrie können grundsätzlich drei verschiedene Arten von Greenwashing unterschieden werden:
Die eine betrifft Finanzdienstleistungsunternehmen, die durch ihren Auftritt (zum Beispiel in den sozialen Medien, der Werbung oder auf ihren Websites) vermitteln, nachhaltig zu sein, in ihren unternehmerischen Handlungen jedoch diesem kommunizierten Bild widersprechen. So ist beispielsweise insbesondere denkbar, dass diesbezüglich allgemein gehaltene Beschreibungen ohne weitere konkrete Angaben einen Greenwashing-Fall darstellen können, weil diesfalls potenziell die gesamte Unternehmenspraxis an dem kommunizierten Bild zu messen wäre.
Die zweite Ausprägung von Greenwashing betrifft produktbezogene Fälle: Die im Prospekt oder im Produktinformationsblatt festgehaltenen Angaben zu Charakteristika oder zur Zusammensetzung des Finanzinstruments sind unwahr, täuschend oder irreführend. So werden Anlegerinnen und Anleger, die gerade mit ihrer Investition etwas "Gutes" für die Umwelt tun wollen, sehr verärgert, wenn sie aufgrund einer Empfehlung in einen Fonds investieren, der im Widerspruch zu dem kommunizierten Bild und somit zu der Erwartung der Anlegerinnen und Anleger steht, weil beispielsweise der Bau einer Mine finanziert wird.
Schließlich kann Greenwashing auch auf der Ebene eines Kundenberatungsgesprächs mit einer Vermögensberaterin oder einem Vermögensberater stattfinden. Es zeigen bereits einige Studien auf, dass Anlegerinnen und Anlegern Anlageprodukte als klimaverträglich empfohlen werden, die in keiner Weise mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel sind oder lediglich eine bessere Nachhaltigkeitsleistung anstreben als konventionelle Fonds. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie der Arbeiterkammer Wien zeigt auf, dass "sich nachhaltige Fonds nicht signifikant von herkömmlichen Fonds in Bezug auf deren Titelselektion unterscheiden". Die als nachhaltig bezeichneten Fonds beinhalten etwa große internationale Konzerne, wie etwa Amazon oder Apple.
Es sind im Wesentlichen diese drei Handlungsfelder, die den Weg für konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Greenwashing aufzeigen. Es wird sich noch zeigen, inwiefern die neuen Regularien daran etwas ändern: Beim Verkauf von bzw. bei der Beratung in Sachen Finanzprodukte ist neben den Kriterien wie Risiko, Performance und Liquidität seit 2. August 2022 auch die Nachhaltigkeitspräferenz der Anlegerinnen und Anleger abzufragen bzw. zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang – so wird in der erwähnten Studie kritisiert – basiert die Offenlegung von Finanzdienstleistungsunternehmen bezüglich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsthemen in ihren Strategien, Prozessen und Produkten mangels entsprechender Mindestgrenzen auf der Eigendefinition der Finanzdienstleistungsunternehmen hinsichtlich Nachhaltigkeit eines Finanzproduktes. Daher ist es grundsätzlich denkbar, dass Finanzprodukte im Rahmen dieser Offenlegung angeführt werden, in denen beispielsweise nur ein Prozent des Fondsvolumens als nachhaltig gemäß der Taxonomie angesehen wird. Somit sind die Informationen gemäß dieser Offenlegung stets en détail zu prüfen, um ein Bild der "tatsächlichen Nachhaltigkeit" des entsprechenden Produktes zu erlangen.
Jedoch bestehen bereits gemäß aktueller Gesetzeslage konkrete Grundlagen, auf Basis derer täuschende oder irreführende Verhaltensweisen sanktioniert werden können. So sind die entsprechenden Vorschriften für den Prospekt bzw. das Produktinformationsblatt von Finanzinstrumenten und die damit verbundenen Haftungs- und Strafbestimmungen zu erwähnen. Getäuschten Anlegerinnen und Anleger stehen weiters diverse Rechtsansprüche wie etwa ein Anspruch auf Schadenersatz, Gewährleistung oder sogar Vertragsaufhebung zur Verfügung. Darüber hinaus räumt auch das Bundesgesetz gegen unlauteren Wettbewerb 1984 (UWG) Möglichkeiten ein, im Rahmen entsprechender privater Durchsetzung gegen Praktiken vorzugehen, mit denen sich Unternehmen unlautere Vorteile gegenüber ihren Mitbewerbern verschaffen. Nach außen getragene Nachhaltigkeitsversprechen, die in Widerspruch zu sonstigen Eigenschaften eines Finanzproduktes stehen, können hierbei durch das UWG unterbunden werden.
Bereits aus Reputationsgründen tun Finanzdienstleistungsunternehmen gut daran, Greenwashing zu verhindern, um sich nicht dem Risiko auszusetzen, an den "grünen Pranger" gestellt zu werden. Als entsprechendes Negativbeispiel kann der Fall der deutschen DWS erwähnt werden: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt a. Main ermittelt gegen die Deutsche-Bank-Fondstochtergesellschaft wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs. Die überwiegende Mehrheit der Anbieter nimmt jedoch die Herausforderung "Nachhaltigkeit" ernst und will einen positiven Beitrag leisten. Künftig sollten Finanzdienstleistungsunternehmen daher sicherstellen, dass ESG-Erwägungen (ESG: Environment, Social und Governance) verstärkt insbesondere in ihre Beratungsprozesse sowie in ihre Governance einfließen. Da dies einen Paradigmenwechsel darstellt, der eine entsprechende Bewusstseinsbildung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein Verständnis hinsichtlich der relevanten Regularien voraussetzt, werden diese hierbei intensiviert zu schulen bzw. weiterzubilden zu sein.
Autoren: Mag. Lukas Fischer, Dr. Levente B. Nagy, 15.8.2022)
Dieser Artikel erschien am 15.8.2022 auf www. derstandard.at
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