Nach etwa 100 Jahren haben Wölfe wieder die Wälder der Europäischen Union zurückerobert. Das ist gut für den Artenschutz, jedoch verursachen Wölfe oft auch Probleme: Wölfe können Nutztiere wie Schafe angreifen und manchmal gefährlich für Menschen sein. Welche Schutzmaßnahmen sieht die EU in solchen Fällen vor?
Auf Ebene der Europäischen Union stellt die Flora-Fauna-Habitat-(FFH)-Richtlinie die maßgebliche Regelung dar. Sie besagt, dass Wolfspopulationen streng geschützt sind und Wölfe in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten nicht absichtlich gefangen, getötet oder gestört werden dürfen. Zudem sind auch die Beschädigung sowie die Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten untersagt. Dieser Schutz gilt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Natura-2000-Gebiete. Der Verbotstatbestand ist ferner individuenbezogen: Jeder einzelne Wolf ist geschützt.
Dieses Verbot gilt allerdings nicht uneingeschränkt! Es kann in bestimmten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, den Fang oder das Töten einzelner Exemplare zuzulassen, beispielsweise um ernste Schäden in der Tierhaltung zu verhindern oder auch um auffällige und potenziell gefährliche Exemplare unschädlich zu machen.
Diese Ausnahmen sind jedoch sehr restriktiv auszulegen. Die Europäische Kommission sowie die Wissenschaft haben in den letzten Jahren diverse Leitfaden erarbeitet, die den für das Wolfsmanagement zuständigen nationalen Behörden beim Umgang mit dreisten oder verhaltensauffälligen Wölfen als Hilfestellung dienen sollen.
Scheint sich ein Wolf zum Beispiel von Menschen angezogen zu fühlen, wird anschließend je nach Schwere der beobachteten Vorfälle eine mehrstufige Vorgehensweise empfohlen, vom Entfernen von Anreizen (z. B. Nahrung) und negativer Konditionierung bis hin zur Entnahme des Wolfes.
Bei der Tierhaltung scheint die EU jedoch nur in Ausnahmenfällen eine Einschränkung des gesetzlichen Schutzes zuzulassen. So kommt eine Tötung des Wolfes nur dann in Frage, wenn der Wolf erhebliche Schäden – d. h. Schäden, die keine Bagatellschäden sind – verursacht. Was als erheblicher Schaden gilt, sollte von Fall zu Fall und in Anbetracht des konkreten Problems bewertet werden. Auf jeden Fall können bloße Beeinträchtigungen des landwirtschaftlichen Betriebs keine legitimen Gründe für Ausnahmegenehmigungen darstellen.
Das Europäische Parlament hat jüngst erkannt, dass die derzeitige Gesetzeslage teilweise nicht konkret genug ist und auch die wachsende Anzahl an Wölfen nicht mitberücksichtigt. Im Dezember 2022 hat das Europäische Parlament daher die EU-Kommission zur Überarbeitung der FFH-Richtlinie aufgefordert.
Autor:
Autoren: Dr. Levente B. Nagy, 1.05.2023
Dieser Artikel erschien (in einer gekürzter Form) in der Zeitschrift top agrar (Mai Ausgabe)
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