OGH bestätigt: Keine generelle Haftung bei Mutterkuhhaltung auf der Alm
- Dr. Levente B. Nagy
- 5. Juni
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Der Oberste Gerichtshof hat kürzlich entschieden, dass ein Landwirt nicht automatisch haftet, wenn eine Mutterkuh auf der Weide einen Wanderer verletzt – anders als in der viel beachteten „Pinnistal“-Entscheidung aus dem Jahr 2020, in der dem Halter unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl eine Mitschuld zugesprochen wurde. Die aktuelle Entscheidung bringt wichtige Klarheit für die Alm- und Weidewirtschaft – insbesondere dort, wo Wanderwege durch Weideflächen führen.
Ausgangslage: Wanderer von Mutterkuh angegriffen
Ein Ehepaar wurde auf einem Almweg von einer Mutterkuh angegriffen, als es in geringem Abstand an der Kuh mit ihrem Kalb vorbeiging. Der Weg war nicht stark frequentiert, am Beginn stand ein deutlich sichtbares Warnschild mit Hinweisen zum Verhalten gegenüber Weidevieh – insbesondere bei mitgeführten Hunden. Die Frau klagte auf Schadenersatz und wollte den Landwirt haftbar machen.

Die Rechtslage: Tierhalterhaftung und Almwirtschaft
Nach dem Gesetz haftet ein Tierhalter nur dann, wenn er seine Sorgfaltspflichten verletzt hat. Das bedeutet: Keine automatische Haftung nur deshalb, weil ein Tier jemanden verletzt. Seit 2019 gilt für die Alm- und Weidewirtschaft, dass sich Landwirte an anerkannten Standards der Tierhaltung orientieren dürfen. Gleichzeitig wird von Wanderern ein gewisses Maß an Eigenverantwortung verlangt – etwa im Umgang mit Mutterkühen, die ihre Kälber instinktiv schützen.
Abgrenzung zur „Pinnistal“-Entscheidung: Einzelfallprüfung bleibt entscheidend
In seiner aktuellen Entscheidung hat der OGH deutlich gemacht, dass eine Haftung des Tierhalters nicht automatisch eintritt, sondern stets vom Einzelfall abhängt. Im konkreten Fall war die Haltung der Kühe ortsüblich, es lagen keine Hinweise auf aggressives Verhalten vor, und am Beginn des Almwegs war ein gut sichtbares Warnschild mit Verhaltenshinweisen angebracht. Der Weg war wenig frequentiert, und es bestanden keine besonderen Gefahrenmomente. Unter diesen Voraussetzungen verneinte das Gericht eine Pflicht zur Einzäunung und sah alle Sorgfaltsanforderungen erfüllt.
Dem gegenüber steht der Fall aus dem Jahr 2014 im Tiroler Pinnistal, den der OGH 2020 beurteilte. Dort wurden Mutterkühe in unmittelbarer Nähe eines stark frequentierten Gasthauses und eines Almgebäudes gehalten. Die Tiere waren bereits früher durch aggressives Verhalten gegenüber Hunden aufgefallen. Anders als im aktuellen Fall sah der OGH hier eine vorhersehbare Gefahr, die der Landwirt hätte erkennen müssen. Eine Einzäunung mit einem einfachen Elektrozaun wäre unter diesen Umständen nicht nur zumutbar, sondern auch erforderlich gewesen, um die Gefahr zu bannen. Da der Landwirt diese Maßnahme unterließ, wurde ihm eine Teilschuld zugesprochen. Zugleich wurde der Hundehalterin ein Mitverschulden von 50 % angelastet, da sie die typischen Schutzreaktionen von Mutterkühen gegenüber Hunden hätte kennen und ihr Verhalten entsprechend anpassen müssen.
Was heißt das für Landwirte?
Für Landwirtinnen und Landwirte ergibt sich aus beiden Entscheidungen eine klare Orientierung: Wer ortsüblich wirtschaftet, keine Gefahren erkennt und Wanderer wirksam warnt, ist rechtlich gut abgesichert. Sobald jedoch konkrete Gefahren erkennbar sind – sei es durch das Verhalten einzelner Tiere oder durch eine exponierte Lage der Weideflächen in touristisch stark frequentierten Bereichen – steigt die Sorgfaltspflicht. In solchen Fällen kann eine einfache Absperrung wie ein Elektrozaun erforderlich sein. Entscheidend ist daher, Risiken frühzeitig zu erkennen, angemessen darauf zu reagieren und getroffene Maßnahmen gut nachvollziehbar zu dokumentieren.
Autor:
Dr. Levente B. Bräuer-Nagy, 05.06.2025
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